Barrierefrei? Besucherfreundliche Museen

Im Landesmuseum Mainz fand Ende August 2011 eine Informationsveranstaltung für Behindertenverbände und Museen statt. Eingeladen hatte der Museumsverband Rheinland-Pfalz. Beantwortet wurden Fragen rund um das Thema Barrierefreiheit in Museen und ähnlichen touristischen Einrichtungen. Diese Aspekte wurden unter anderem vorgestellt:

  • UN-Behindertenrechtskonvention
  • aktuelle Richtlinien und Normen im Bereich Bauen oder Anforderungen
  • Strategien im barrierefreien Tourismus
  • Barrierefrei gestaltete Internetseiten
  • Entwicklung von Angeboten für Zielgruppen mit speziellen Einschränkungen
Innovative Ausstellungskonzepte
Vielfach gelobt für frische Ideen: Hygiene Museum in Dresden

Die wichtigste Erkenntnis der Veranstaltung: Barrierefreiheit in Museen hilft nicht nur Menschen mit Behinderung. Eltern mit kleinen Kindern, Kranke, ältere Menschen und viele weitere spezielle Bevölkerungsgruppen freuen sich ebenso über fehlende Hindernisse. Museen, die ihre Besucherzahlen steigern wollen/müssen, sollten sich fragen, ob nicht die Hindernisse, die viele Teile der Bevölkerung von einem Besuch abhalten könnten, die Ursache für mäßige Besucherzahlen sind.

Die Referate der Tagung kamen vor allen von Praktikern und waren dankenswerterweise ausdrücklich kurz aber dafür umso prägnanter. Diese Themen wurden behandelt (Titel, Refrent und kurzer Überblick):

Der Aktionsplan der Landesregierung Rheinland-Pfalz zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Ottmar Miles-Paul, Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen

Der Aktionsplan ist bereits Arbeitsgrundlage für das Bundesland. Großes Ziel: Inklusion von Anfang an – nicht „nur“ Integration von behinderten Menschen. Konkrete Maßnahmen: Schulungen, barrierefreier Zugang für Museen und historische Gebäude (Paradebeispiele: Landesmuseum Mainz, Gedächtniskirche Speyer, Staatstheater Mainz, Theaterfestival Mainz und das Hambacher Schloß). Gelungen war beispielsweise die BUGA 2011 in Koblenz (z.B. mit der barrierefreien Seilbahn).

Relevante DIN-Normen

… für die Ausstattung und die Erreichbarkeit von Museen für behinderte BesucherInnen
Heinrich Mockenhaupt, Sachverständiger, Fachingenieur für barrierefreies Bauen

Nicht „nur“ gehbehinderte Menschen sind im Fokus, sondern viele verschiedene Behinderungen werden bedacht (vor allem Seh- und Hörbehinderte). Meistens sind schon kleine Details, die nicht teuer sein müssen, nützlich und enorm hilfreich. In der Regel sind Kompromisse machbar (Kosten, Denkmalschutz usw.). Vorbildlich sind beispielsweise Audioguides und taktile Elemente für Sehbehinderte und Videoguides mit Gebärdensprache für Hörbehinderte an Exponaten.

Websites für alle

Eckpunkte einer barrierefreien Gestaltung digitaler Online-Präsenzen
Matthias Kurz, Geschäftsführer media machine Mainz www.mediamachine.de

Durch Social Media vollzieht sich eine sehr starke Änderung des bislang bekannten Internets, vor allem mobiles Internet wird stark wachsen. Durch die Dominanz des Internets müssen Belange Behinderter künftig viel mehr berücksichtigt werden, da sie sonst in der Online-Welt benachteiligt sind. Internet ist für Behinderte geeignet. Weil:

  • es hat Zeit
  • es findet keine Diskriminierung statt
  • es ist nahezu überall verfügbar

Barrieren, die meist auch Nicht-Behinderte stören:

  • captcha (schwer bis gar nicht lesbar)
  • Struktur der Seite
  • Bedienung ohne Maus (Blinde und Sehbehinderte nutzen Tastaturen)

Anforderungen an eine barrierefreie Seite:

  • wahrnehmbar, bedienbar, verständlich, robuste Programme (z.B. Browser)
  • Konzept von Anfang an bedenken, Teil der Mission
  • flexibles/anpaßbares Design (Schriftgrößen/Kontraste)
  • korrekter Code/Semantik: Sprachbrowser können Struktur erkennen. Google ist letztlich auch blind und findet letztlich nur strukturierte Inhalte.
  • aktuelle Browser
  • Textgliederung (Struktur Überschriften, Absätze usw.)
  • Zusammenfassung bei langen Texten
  • Fachbegriffe in Maßen
  • textliche Beschreibung von Bildern/Animationen
  • verständliche Begriffe in der Navigation (Als Linktext z.B. nicht hier verwenden. Besser Startseite)

Eine vorbildliche Seite ist z.B. aktion-mensch.de. Die Seite einfach-fuer-alle.de listet Checklisten auf, die erklären, was notwendig ist für eine barrierefreie Internetseite. Ebenso die Kriterien des Biene-Awards können als Orientierung dienen (biene-wettbewerb.de)
Web 2.0 ist die Chance. Mobiles Internet wird große Veränderungen bringen.

Blinde Menschen im Museum

Hela Michalski, Hörfilm e.V., München www.hoerfilmev.de

Audio-Beschreibung mit Uhrzeiten, Farben, Vergleichen usw. Blinde wollen selbst entscheiden, wann sie was hören. Keine Dauerbeschallung gewünscht. Mittels konkreter Beschreibungen können Blinde vollständig selbständig Museen erkunden.

Das neue Folientastbuch im Landesmuseum Mainz

ein weiteres Angebot für Blinde und Sehbehinderte
Dieter Becker, Landesmuseum Mainz www.landesmuseum-mainz.de

Taktile Elemente, Großschrift, Braille: Informationen zur Orientierung und Hintergründe zu Exponaten. Entstanden ist das Folientastbuch in Zusammenarbeit mit Blista. Herausforderungen:

  • Farbdarstellungen. Lösung: verbale Beschreibung, wie Leuchten der Farbe Blau wirkt.
  • Perspektiven/Bildebenen. Lösung: Details auf einzelnen Seiten erklärt; z.B. Personen, Landschaft, Gegenstände

Anforderungen und Strategien im barrierefreien Tourismus

Karina Krauß, Rheinland-Pfalz-Tourismus GmbH www.rlp-info.de

Normen (z.B. DIN) reichen nicht – Servicequalität ist gefragt: Informationen, Anreise, Unterkünfte, Essen und Trinken, Freizeit, Unterhaltung und Sport. Einzelne Angebote (z.B. Museum) reichen nicht aus – ein kompletter barrierefreier Urlaub ist der Wunsch der allermeisten Menschen mit Behinderung. Verknüpfung von z.B. Kultur-, Wellness und Sportangeboten in Verbindung mit barrierefreien Angeboten ist die Lösung, die leider nur punktuell schon Realität ist.

Gehörlose Menschen im Museum

Ralph Raule, Gebärdenwerk GbR, Hamburg www.gebaerdenwerk.de

Videoguide als Weiterentwicklung des Audioguides, (z.B. im Landesmuseum Mainz, BMAS Berlin, Ostwall-Museum Dortmund und Technikmuseum Wien im Einsatz). Andere Texte für Videobeschreibung notwendig im Vergleich zum Audioguide. Alternative in einigen Museen: Führungen von Gehörlosenführern. Anforderungen an Museen:

  • Gehörlosen haben meist Schwierigkeiten mit der Schriftsprache, daher ist eine zielgruppengerechte Ansprache notwendig
  • Gebärdensprache funktioniert dreidimensional – Schwierigkeit, dies im Video darzustellen
  • Dialekte in der Gebärdensprache: Unterschiede in Deutschland, Österreich, Schweiz, Britisches Englisch unterscheidet sich auch in der Gebärdensprache vom amerikanischen Englisch

Demografiefest – barrierefrei und attraktiv für alle Generationen

Mathias Knigge, grauwert – Büro für demografiefeste Produkte und Dienstleistungen, Hamburg www.grauwert.info

Meistens werden nur defizitorientierte Angebote geschaffen – besser wäre es, die Ansprüche der unterschiedlichen Generationen als Chance zu betrachten. In der Regel sind altersgerechte Lösungen nicht weniger schön, wenn man es vernünftig macht. Beispiel: Kunsthalle Emden ist nun demografiefest; Kunsthalle Bremen derzeit in Bearbeitung. Viele Aspekte: Zuwegungen, Beschilderung, Parkplätze, Lichtverhältnisse im Museum, Unterfahrbarkeit von Theken, Sitzgelegenheiten mit Rückenlehnen sind viel besser als Bänke, Spiegel bis zum Boden für Kinder und Rollstuhlfahrer.

Barrierefreiheit als Angebot für alle MuseumsbesucherInnen

Im großen Haus erprobt – für kleinere Einrichtungen geeignet
Anna Doepfner, Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin

Die Ansprüche von Frauen im Technikmuseum wurden bislang zu wenig bedacht – Ausstellungen waren bislang eher für Männer/Jungs interessant.

Museumssterne Basel – ein beispielgebendes Projekt

Beat Ramseyer, Leiter des Projekts Museumssterne Basel
Caroline Buffet, Museum am Burghof, Lörrach www.museumssterne.ch

Ein barrierefreies Museum ist gleichzeitig auch ein Museum für ältere Menschen. In Sachen Information, Zugänglichkeit, Ausstellung und Veranstaltungen wurden Basler Museen aufgefordert, sich dem gut dotierten Wettbewerb zu stellen. Die Auszeichnung mit dem Stern war für die teilnehmenden Einrichtungen Ansporn für weitere Verbesserungen und Lob zugleich.

Mit Leichter Sprache durchs Museum

Führungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten durch Menschen mit Lernschwierigkeiten
Ulrike Städtler, Spohr Museum, Kassel www.spohr-museum.de

Kurze Sätze, fast keine Nebensätze, in jedem Satz nur eine Information. Keine Fremd-/Fachwörter.:Ein Audioguide ist eine Führung per Kopfhörer, ein Flyer ist ein Faltblatt.

Stumme Zeugen zum Sprechen bringen

… erläutert an einem Filmprojekt mit einer Förderschule
Jörg Hahn, Museumspädagoge in der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesmuseum Koblenz www.gdke.rlp.de

Der Begriff Zeit ist für Förderschüler kaum vorstellbar. Mittels einer steinzeitlichen Geschichte, die als Film von den Kindern selbst gespielt wurde, konnte man die Historie im Eiszeitalter auf eindringliche Weise nahe bringen. Spiel und Spaß sind elementare Mittel, um Lernbehinderten abstrakte Phänomene zu verdeutlichen.

Weitere Informationen: Thomas Kohler – Kontakt

Foto: Thomas Kohler@Flickr CC-Lizenz

Kommentare

3 Antworten zu „Barrierefrei? Besucherfreundliche Museen“

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  1. Ich finde es teilweise unglaublich, dass öffentliche Orte, die zu Teilen sogar in öffentlicher Hand sind, nicht barrierefrei sind. Auch den oben angesprochenen Punkt des barrierefreien Web bzw. dem barrierefreien Webdesign finde ich sehr interessant und ich denke auf für Suchmaschinen, wie Google, wird so etwas in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen bei der Auswahl der Suchergebnisse.

  2. Tanja

    Das macht mich traurig, dass noch so viele öffentliche Orte nicht barrierefrei gebaut sind. Ich dachte es sei eine Art Vorschrift… =(

  3. Dominik Schmidt

    Vor einigen Monaten war ich mit einer Gruppe älterer Menschen in einem Museum, welches ich an dieser Stelle nicht erwähnen möchte, da es alles andere als „barrierefrei“ war. Muss gestehen, ich fand es schade, dass viele der Gruppenteilnehmer, obwohl merklich interessiert, sich nur die Bilder in der unteren Etage angucken konnten, da die anderen Etagen einzig über Treppen erreichbar waren. In dem Sinne halte ich barrierefreie Museen und Kultureinrichtungen für unverzichtbar – auf der anderen Seite, das Museum war in einem Haus untergebracht, das knapp 200 Jahre alt war. Wollte man es barrierefrei umbauen, müsste man große Teile der Architektur zerstören, was auch nicht Sinn der Sache sein kann.