Heimatdorf im bayerischen Nachkriegsdeutschland – Bernd Schroeder
Heimat ist vermutlich das deutsche Wort, für das es nicht mal eine richtige englische Übersetzung gibt, das aber dennoch unendlich viele Bedeutungen hat. Nicht im eigentlichen Sinn. Für jeden ist Heimat etwas ganz anderes. Drei Bücher nähern sich diesem Begriff auf unterschiedlichste, aber jeweils beeindruckende Weise.
Bernd Schroeder, Grimme- und Filmpreisträger, zeichnet mit Auf Amerika das Bild eines Knaben in der bayerischen Provinz der Nachkriegsjahre. Wirtschaftsaufschwung und Kriegsfolgen, karges und anstrengendes Landleben, kauzige Dorfbewohner und die eigenen Eltern, die nicht gerade als Bilderbuchfamilie bezeichnet werden können. Schroeder gelingt eine Liebeserklärung an eine Dorfjugend, die absolut typisch ist und deshalb so nah ans Herz geht. Alt-Nazis, rigorose Klosterschwestern im Waisenhaus und listige Bauern – das Personal in Auf Amerika bietet alle denkbaren Schattierungen und ist deshalb so liebenswert, weil alle aus Sicht des kleinen Jungen geschildert werden. Er liebt das Dorf und seine Bewohner. Für ihn ist es die Heimat. Was sie ihm bedeutet, merkt der Junge noch viel intensiver, als er nach Jahren wieder zu einem Klassentreffen seine Heimat wieder besucht. Ein großartiger erzählter Roman über eine Jugend im provinziellem Nachkriegsdeutschland.
Textprobe: „Beim Dengeln der Sense gab der Veit im Rhythmus seiner Hammerschläge auf das Sensenblatt seltsame Laute von sich, die kein Beten waren und kein Singen und auch kein Fluchen, nicht einmal ein Zählen und kein sonst was Erkennbares, aber von allem doch etwas. Wenn ihn jemand fragte, … , tat sich in seinem Gesicht nichts, er dengelte, starrte auf das Sensenblatt, schien die Welt vergessen zu haben, war wie der Pfarrer, wenn er in der Kirche das Allerheiligste aus der Monstranz holte und in die Höhe hob, mit lateinischen Worten begleitet.“
Auf Amerika
Bernd Schroeder
Hanser Verlag
Rückkehr in die Geburtsstadt – Walter Kempowski
Walter Kempowski muss man danken für seine deutsche Chronik. Am Beispiel der eigenen Familie zeigt er Deutschland vom späten 19. Jahrhundert bis zur Jahrtausendwende. Besonders geschickt sind seine Tagebuchprojekte, bei denen er anhand vieler tausender Tagebucheinträge deutsche Geschichte einordnet, in dem einfach zusammengetragen wird, was alles an einem Tag oder in einem Jahr aus Sicht des Tagebuchschreibers passiert ist. Mit Hamit legt er sein eigenes Tagebuch des deutschen Einheitsjahres 1990 vor. Hamit ist das Wort für Heimat der Menschen im Erzgebirge.
Kempowski konnte seit der Grenzöffnung 1989 wieder seine Geburtsstadt Rostock besuchen. Hier erlebte er glückliche Jahre in seiner Kindheit, schreckliche Kriegsjahre mit dem Tod des Vaters und schlimme Nachkriegsjahre mit Enteignung des Familienvermögens und anschließender Haft in Bautzen. Hamit ist letztlich noch viel mehr als ein Tagebuch. Es ist eine Abrechnung mit dem sozialistischen System. Zugleich hadert Kempowski mit seinem Verlag, seinen Studenten, seinen Schriftstellerkollegen, der Presse und der Politik. Enttäuscht zeigt er sich bei seiner Rückkehr, dass er nicht mit Applaus und Dank von Bürgern und Offiziellen der Stadt willkommen geheißen wird. Walter Kempowski grübelt und dokumentiert damit vielleicht am ehrlichsten seine Sicht dieses historischen Moments deutscher Geschichte.
Textprobe: „… ich habe im Güstrower Dom einen Schrubber hinter dem Altar gesehen, ich habe die Rapsfelder durchs geschlossene Autofenster „gesoffen“, ich habe in Rostock am Brunnen der Lebensfreude gesessen und den Kindern zugesehen, wie sie auf den Figuren rumrutschten. Es ist, als ob man den lange gesperrten Seitenflügel eines Schlosses zum ersten Mal wieder betritt, die Fenster stehen offen, verstaubte Teppiche, zerbrochene Stühle liegen herum, nun wird es Zeit, daß die Handwerker kommen.“
Walter Kempowski
Hamit – Tagebuch 1990
BTB Verlag, Kanus Verlag
Das dritte Heimatbuch haben wir hier besprochen. Fortsetzung folgt. Fotos: Thomas Kohler@Flickr CC-Lizenz
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