Wer Wahlkampfplakate erfunden hat, läßt sich heutzutage nicht mehr konkret ermitteln. Durchweg alle Parteien scheinen aber den Werbezweck dieser übergroßen Paßbilder für Landtagswahlen anzuerkennen. Zu sehen sind Männer mit und ohne Bart, mit und ohne Brille und mit und ohne Glatze. Meistens mit Krawatte, die wagemutigen Kandidaten lassen den Hals frei. Damen sind in der Unterzahl auf den Postern vertreten. Zudem sind die Farben auf blau, rot, grün und gelb, die Schriftgröße auf unlesbar und die Aussagekraft auf beliebig beschränkt. Spätestes nach dem dritten Laternenpfahl weiß man überhaupt nichts mehr von den Unterschieden der Parteien, alles verschwimmt in der bunten Gesichterwelt von lauter netten Leuten. Bemerkenswert sind die Versuche, durch schräg angebrachte, zusätzliche Aufkleber den Wähler von der Bedeutung der Zweitstimme zu überzeugen. Wirkt so etwas? Die Anzahl derer, die ein Interesse daran haben, Plakate zu verunstalten, zu zerstören oder zu klauen ist vermutlich größer.
Der direkte Kontakt mit dem Wähler
Mehr als je ein Polizeifahrzeug und ein Fotograf mit professioneller Ausrüstung sind unmissverständliche Zeichen. Die Politprominenz hält Hof im Wahlgebiet. Die Tatsache, daß Polizisten und Reporter zu entdecken sind, deutet darauf hin, daß die Spitzenkandidaten sich persönlich beim Wahlvolk sehen lassen. Die Anwesenheit von privaten Sicherheitsdiensten, die ausschließlich muskulöse Herren zwischen 25 und 40 mit bösem Blick, breiten Schultern, mäßig sitzenden Anzügen und einem Kabel im Ohr einstellen, bestätigen diesen Eindruck. Bei der zweiten oder dritten Garde der Kandidaten fehlen die Ordnungshüter garantiert (Personenschutz gibt es in Deutschland offenbar erst ab Minister aufwärts), die Presseleute meistens (wenn sich nicht irgendwo in der Nähe ein schwerer Verkehrsunfall zugetragen hat) und das Wahlvolk zuweilen auch.
Die Fraktion der Kurzarmhemden
Die hohen Herren der Parteien ziehen vor allem die eigenen Mitglieder an. Das ist einerseits schade um den Aufwand für die Wahlkampfveranstaltungen, andererseits wären womöglich sonst viele Reden gänzlich ohne Publikum abgehalten worden. So sind Turnhallen, Festzelte und andere (für professionelle Werbezwecke an sich ungeeignete) Veranstaltungsorte mit Ortsvereinsmitgliedern und deren Verwandten gefüllt. Viele von Ihnen tragen kurzärmelige Hemden (ist ja Sommer) und Krawatten (ist ja was Offizielles), was bei den meisten in Kombination merkwürdig aussieht. Dazu sieht man die Mitglieder der Jugendorganisationen der jeweiligen Parteien. Das senkt den Altersdurchschnitt des Publikums beträchtlich. Diese Gruppe scheint die Hoffnung der Parteien zu sein. Warum, bleibt jedoch unklar. Wenn Deutschlands Jugend tatsächlich so bieder sein sollte, wie es die Jung-Parteiler verkörpern, ist einem um die Zukunft des Landes bange. Andersrum: wollen diese Jugendlichen (in großer Mehrzahl Jungs) tatsächlich so werden, wie jene Parteimitglieder, die auf dem Podium reden? Warum sind Politiker für sie Idole?
Mitunter passieren bei den Wahlkampfauftritten dann unerwartete Dinge. Der Wahlkampfauftakt (viel Sicherheitspersonal, viel Presse, viele geladene Gäste) platzt schon mal aus allen Nähten, weil einfach zu wenig Stühle vorhanden sind. Das Bemühen, doch noch ausreichend Sitzgelegenheiten für den Abend bereit zu stellen, wird dann auch der sympathischste Moment des Abends bleiben. Danach sinkt das Maß der Herzlichkeit und der Ehrlichkeit.
Das musikalische Rahmenprogramm wurde sorgfältig ausgewählt. Mann/Frau, Jung/Alt – mindestens hier wirkt vorbildlich das Gender-Programm, das sich die Partei selbst auferlegt hat. Die jungen Damen spielen Pop-Rock und das gar nicht mal schlecht. Eine junge hübsche an der Geige, eine nicht ganz so junge und weniger hübsche an der Gitarre mit viel zu engen weißen Hosen, unnötigen Tattoos und weißblonden Haaren und eine Baßspielerin. Sie ist eine hervorragende Musikerin, Outfit und Haare scheinen ihr allerdings egal zu sein; passend dazu: ihre Sandalen (es ist ja Sommer). Sie hat den Auftrag, Stimmung in den Saal zu bringen. Das soll durch die permanente Aufforderung zum Mitklatschen gelingen, tut es aber nicht. Es klatscht nur hier und da (in der vorderen Reihen etwas mehr, denn dort würde die Fotografen das Nicht-Klatschen festhalten können). Der männliche Gegenpart des Kulturteils ist dann noch befremdlicher. Er will sich offenbar für weitere dieser Veranstaltungen empfehlen und ruft zwischen seinen Songs zum Wählen der veranstaltenden Partei auf. Fast erstaunlich, daß er der einzige an diesem Abend bleibt, der das wörtlich tut.
Gelebte Lockerheit
Dann der Auftritt der Gladiatoren: die hochrangigen Politiker aus den anderen Bundesländern zur Unterstützung der Parteifreunde. Einer ist unterhaltsam und verständlich in seiner Argumentation. Den würde man wählen, wenn er denn in diesem Bundesland zur Wahl stünde. Der andere nervt ungemein durch Namedropping seiner Vorgänger, Worthülsen und scheinbare Geschichten aus dem richtigen Leben, die ausnahmslos wie ausgedacht und vom persönlichen Referenten aufgeschrieben wirken. Die Protagonisten, um die es an diesem Abend eigentlich geht, zeigen sich professionell vorbereitet und wahnsinnig locker. Nur interessiert das kaum noch jemanden nach neunzig Minuten Musik und Grußworten. Lustig wird es nur dann, wenn auf den anderen Parteien und deren Strategen rumgehackt wird. Ob das als Argument reicht, diese Partei zu wählen, weil die anderen ganz viele Fehler machen, bleibt abzuwarten. Konstruiert wirken auch Parteiprogramme von derzeit an der Macht sitzenden Parteien. Warum sie das, was sie groß ankündigen, nicht einfach jetzt schon umsetzen, wo sie es in der Hand haben, bleibt eines der großen Geheimnisse der Politik.
Die Freude ist groß
Ehrlich wird der Wahlkampfabend dann erst wieder am Buffet, an dem es Rustikales und Regionales gibt. Die Parteifreunde warten geduldig, daß die Bockwürste aufgefüllt werden und trinken Bier in solchen Mengen, die man mit der Länge der Reden und/oder der kostenlosen Verfügbarkeit begründen kann. Die Politprofis versuchen noch, Bedeutendes und Bewegendes in die anwesenden Mikrofone und Kameras zu formulieren. Der Wahlkampfbesucher ist zu dieser Zeit schon auf dem Heimweg und freut sich auf die nächsten Europawahlen. Dann werden die Menschen auf den Postern am Straßenrand noch unbekannter sein.
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